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Die Linke in Brandenburg steht vor Schicksalswahlen

Landesparteitag in Ludwigsfelde trifft Vorbereitungen für die Urnengänge im Jahr 2024

In den 1990er Jahren sagten der damalige Kanzler Helmut Kohl (CDU) und andere vorher, die PDS werde von der Bildfläche verschwinden. Doch Gregor Gysis sprichwörtliche »bunte Truppe« schaffte dennoch den Sprung in den Bundestag. Parteilose Kandidaten wie der Schriftsteller Stefan Heym, der als 81-Jähriger 1994 einen Wahlkreis in Berlin gewann, trugen wesentlich dazu bei.

Nun kommen die offenen Listen in Brandenburg wieder. Auf kommunaler Ebene waren sie nie weg. Sie »waren immer ein Erfolgsrezept der Linken«, hält ein Antrag für den Landesparteitag am kommenden Samstag fest. Im Klubhaus von Ludwigsfelde bereitet sich der Landesverband auf das Superwahljahr 2024 mit Kommunal-, Europa- und Landtagswahl vor. Gleich drei Anträge dazu sollen beraten und beschlossen werden. In dem schon erwähnten Antrag »Den Erfolg organisieren« heißt es, der richtige Zeitpunkt, Kandidaten für die Kommunalwahl im Frühjahr 2024 zu finden, sei jetzt. Man müsse Bündnispartner ansprechen, engagierte Bürger mit linksaffinen Ansichten gewinnen und natürlich die langjährigen Kommunalpolitiker vom Weitermachen überzeugen. Offene Listen müssten insbesondere dort zum Einsatz kommen, wo es weiße Flecken gebe. »Gewählt werden kann Die Linke nur dort, wo sie wahrnehmbar ist.«

Bereits jetzt sind etliche Linksfraktionen in den Kreistagen, Stadtverordnetenversammlungen und Gemeindevertretungen ohne parteilose Mitstreiter undenkbar. Zuweilen sind diese Parteilosen dann sogar die Fraktionsvorsitzenden. Es kommt auch vor, dass eine Fraktion komplett aus Parteilosen besteht. Das ist eine Chance. Allerdings birgt es auch Risiken. Erinnert sei daran, dass 2017 zwei parteilose Stadtverordnete der Linken in Lebus dafür stimmten, dass Detlev Frye von der AfD Bürgermeister werden sollte. Das verursachte enormen Wirbel. Nicht von ungefähr ist in dem Antrag jetzt ausdrücklich von »verlässlichen Bündnispartnern« die Rede. Und ein zweiter Antrag mit Leitlinien für die Kommunalwahl hält fest: »In Zeiten wie diesen, in denen rechte Parolen wieder salonfähig werden, ist es mehr denn je unsere Pflicht, klar Haltung zu zeigen.« Und weiter: »Mit uns wird es darum keine Zusammenarbeit mit der AfD geben.«

Der dritte Antrag befasst sich mit dem Verfahren zur Aufstellung einer Landesliste für die Landtagswahl im Herbst 2024. Landesvorstand und Landesausschuss sollen demnach einen Vorschlag für eine Doppelspitze, einen Spitzenkandidaten oder eine Spitzenkandidatin unterbreiten und sie sollen auch Vorschläge für eine noch nicht bestimmte Zahl weiterer Listenplätze machen. Die Linksjugend soll einen dieser Listenplätze erhalten.

Der Parteitag ist schon länger geplant. Unvorhergesehen muss dabei nun ein stellvertretender Landesvorsitzender nachgewählt werden. Denn der 25-jährige Justin König war zum 9. März aus der Partei ausgetreten. »Eine Kraft, die in Teilen den Faschisten und Kriegsverbrecher Wladimir Putin indirekt unterstützt, kann ich als Funktionsträger nicht weiter unterstützen«, hatte er dies begründet.

Was einen Nachfolger betrifft, sagt der Landesvorsitzende Sebastian Walter: »Es gab viele, die Interesse zeigten, sich als stellvertretender Landesvorsitzender zu engagieren. Das spricht für den Landesverband.«

Letztendlich sind bis jetzt erst zwei Bewerbungen öffentlich. Mindestens eine dritte soll dem Vernehmen nach noch folgen. Zuerst gab am Mittwoch vergangener Woche Andreas Eichner aus Schönefeld seine Bewerbung ab. Der 60-Jährige ist von Beruf Elektromonteur und hat früher Flugzeugturbinen gebaut, gewartet und repariert. Inzwischen ist er Rentner und organisierte im vergangenen Jahr Sozialproteste vor einer Bankfiliale in Königs Wusterhausen – jeweils am letzten Arbeitstag des Monats mit der Aufforderung, Töpfe und Kochlöffel mitzubringen und damit Lärm zu schlagen. Das Motto: »Damit die Kochtöpfe am Ende des Monats nicht leer bleiben!«

Eichner engagiert sich im brandenburgischen Karl-Liebknecht-Kreis (KLK), in dem sich im Oktober 2022 Anhänger von Sahra Wagenknecht organisiert haben. Er ist dort in der Koordinierungsgruppe und kümmert sich um die Internetseite. Am 1. April konstituierte sich der KLK als Landesarbeitsgemeinschaft der Partei. Das ist kein Schritt, den man gehen würde, wenn man sich von der Linken trennen und eine eigene Partei würde gründen wollen, wie Eichner bestätigt. In einer Pressemitteilung ließ der KLK wissen, er stehe trotz gegenteiliger Behauptungen »für die Einheit der Partei und für einen solidarischen Umgang miteinander«. Aber man verurteile »Äußerungen von Führungskräften unserer Partei, die die weiteren Waffenlieferungen in die Ukraine als elementares Mittel zur Beendigung des verbrecherischen Angriffskrieges Putins auf die Ukraine befürworten«. Man bestehe darauf, dass diese Genossen ihre Positionen überdenken. »Für uns stehen diplomatische Lösungen und Verhandlungen als gangbare Wege zum Frieden im Fokus.«

Auch Andreas Eichner persönlich betont in seiner Bewerbung als Vizelandesvorsitzender: »Einer Spaltung stehe ich ablehnend gegenüber. Am sogenannten linken Rand der Gesellschaft würde sich ein Vakuum auftun, welches keine andere linke Partei füllen könnte.« Eichner weiß: »Unsere Partei ist in einer schweren, existenzgefährdenden Krise.« Aber: »Die Gräben zwischen den Flügeln beziehungsweise Strömungen sind tief, jedoch aus meiner Sicht nicht unüberbrückbar.«

1980 war Eichner in die SED eingetreten. Anfang der 1990er Jahren war er PDS-Bezirksvorsitzender in Berlin-Weißensee. Doch 1994 ist er ausgetreten. Er war mit dem Kurs des Vordenkers und Reformers André Brie nicht einverstanden. »Wir hatten damals eine ähnliche Situation, wie wir sie heute wieder haben«, urteilt Eichner. 2021 kehrte er in die Reihen der Partei zurück. Jetzt erklärte er seine Bereitschaft, bei der Kommunalwahl 2024 für die Gemeindevertretung von Schönefeld zu kandidieren.

Der zweite, namentlich schon bekannte Bewerber für den Posten des Vizelandesvorsitzenden ist Christopher Neumann aus Cottbus. Der 34-Jährige führt den Kreisverband Lausitz, ist Geschäftsführer der Linksfraktion im Stadtparlament seiner Heimatstadt und Wahlkreismitarbeiter der Landtagsabgeordneten Anke Schwarzenberg. Als er seine Bewerbung am Freitag einreichte, konnte er die von Andreas Eichner bereits im Internet sehen. Seine Kandidatur sei aber keine Reaktion darauf, versichert Neumann. Er habe sich schon einige Tage vorher mit dem Gedanken getragen, sich zur Verfügung zu stellen. Er kandidiere nicht gegen irgendjemanden, sondern wolle ein Angebot unterbreiten. Am liebsten wäre ihm gewesen, wenn gar keine Nachwahl notwendig geworden wäre, sagt Neumann.

»Auch wenn uns allen noch die herbe Niederlage bei der Bundestagswahl in den Knochen steckt – die eigentlichen Schicksalswahlen stehen 2024 an«, analysiert der 34-Jährige. »Dass wir bundesweit primär über Streit und Spaltungsfantasien Einzelner wahrgenommen werden, ist dabei eine denkbar schlechte Voraussetzung. Wir müssen wieder lernen, Diskussionen miteinander statt übereinander zu führen und nach außen geschlossen für unsere gemeinsamen Positionen zu kämpfen.« Die Wahlen im Jahr 2024 werden nach Einschätzung von Neumann entscheiden, »ob Die Linke eine relevante politische Kraft bleibt«. Insbesondere die kommunalpolitische Verankerung sei Überlebensversicherung und Nachweis für den Gebrauchswert der Partei. Auch wenn der Landesverband nur begrenzten Einfluss darauf habe, wie sich Die Linke im Bundesmaßstab präsentiert, liege doch in seiner Verantwortung, es besser zu machen und zu zeigen, »dass es auch anders geht«.

Genauso wie Christopher Neumann begreift Andreas Eichner seine Kandidatur nicht als gegen jemanden gerichtet. Er möchte deshalb vor dem Parteitag noch das Gespräch mit Neumann suchen.

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